»Für wie viel Geld würden Sie einen Monat lang auf einen bestimmten digitalen Dienst verzichten?«

© Fraunhofer IMW

Dr. Riad Bourayou erläutert eine Studie zum Wert von datenbasieren Dienstleistungen

Im Projekt Data Mining und Wertschöpfung geht es um die Wertschöpfung aus Daten. Doch wie kann man den Wert datengestützter Dienste überhaupt messen? Wie lassen sich Veränderungen des Lebensstandards durch kostenlose datengetriebene Dienstleistungen verfolgen? Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist das wichtigste Maß für Wirtschaftsgröße und Wertschöpfungsveränderungen. Aber es stößt an eine methodische Schwierigkeit: Waren und Dienstleistungen mit einem Nullpreis leisten keinen Beitrag zum BIP.

In ihrem 2019 veröffentlichten Artikel »Using massive online choice experiments to measure changes in well-being« (Einsatz weitreichender Online-Wahlexperimente zur Messung von Veränderungen des Wohlbefindens) schlagen Erik Brynjolfsson und Kollegen vor, ein subjektives Maß für die Wertschöpfung zu verwenden: die Konsumentenrente. Sie wurde in den 1940er Jahren definiert als Differenz zwischen der Zahlungsbereitschaft der Verbraucherinnen und Verbraucher für eine Ware und dem Betrag, der tatsächlich bezahlt wurde. Wenn eine Person zum Beispiel bereit wäre, bis zu 100 € für ein Paar Schuhe auszugeben, aber nur 70 € bezahlen muss, dann hat diese Person 30 € an Konsumentenrente aus dieser Transaktion gewonnen. Man spricht hier von einem zusätzlichen Nutzen, den die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten, weil sie für etwas weniger bezahlen, als sie bereit waren zu zahlen.

Die Veränderung der Konsumentenrente fungiert stellvertretend für die Veränderungen des Wohlbefindens (oder der Wohlfahrt) der Konsumentinnen und Konsumenten – und damit für den Wert, den eine Dienstleistung für die Kundschaft trotz des fehlenden Preisschildes repräsentiert. Die Konsumentenrente eignet sich deshalb besser, weil die Verwendung von Bilanzen und Jahresabschlüssen in Relation zu den Beträgen je Kundin oder Kunde in der Regel zu systematischen Fehlern führt. Grund dafür ist, dass Unternehmen oft mehrere Einnahmeströme zusammenlegen. Die Methode im Artikel von Brynjolfsson et al. führt also zu feineren Einsichten.

Die Methodik beruht auf dem Trick, die Herangehensweise umzukehren: Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden aufgefordert, die Wahl zwischen zwei Optionen zu treffen. Sie sollen entscheiden, ob sie den Zugang zu einer bestimmten Dienstleistung behalten wollen oder auf diese Dienstleistung gegen Erhalt eines bestimmten Geldbetrags verzichten würden. So stellt man nicht die Frage: »Wie viel würden Sie für den Erhalt von Dienstleistung X zahlen?« (Willingness-to-Pay, kurz: WTP) Stattdessen fragt man: »Wie viel müsste man Ihnen zahlen, um auf Dienstleistung X zu verzichten?« (Willingness-to-Accept, kurz: WTA). Die WTP für digitale Dienste fiel in den vergangenen Studien immer verdächtig gering aus; die WTA könnte ein besseres Maß sein.

Der Median (Mittelwert) der geantworteten WTA-Beträge ist der Wert von Interesse: Um diesen Wert herum gibt es ebenso viele Personen, die den Zugangsverlust zur Ware akzeptieren, wie Personen, die sich dafür entscheiden, den Zugang zu behalten.

In den USA beispielsweise würde die Hälfte der befragten Kundinnen und Kunden einen Monat lang auf Facebook verzichten – bei einer Entschädigung von 48,49 US$. In einer europäischen Laborbefragung unter Studierenden waren die Medianwerte der WTA höher:

WhatsApp

536,00 US$

Facebook

97,00 US$

Digitale Kartendienste auf Smartphones

59,00 US$

Instagram

6,79 US$

Snapchat

2,17 US$

LinkedIn

1,52 US$

Skype

0,18 US$

 

Die europäischen Testpersonen haben die Kompensation für den Verlust von einem Monat Zugang also höher eingeschätzt als in den USA.

Die Autoren erweiterten ihre Umfrage anschließend auf eine große Online-Bevölkerung anstelle eines Pools von rekrutierten Testpersonen. Sie beschlossen außerdem, ihre Bewertungsmethode auf Massenkategorien statt auf bestimmte Dienstleistungen zu konzentrieren. So fragten sie nach Kategorien wie E-Mail-Service, soziale Medien (alle) oder Internet-Suchmaschinen (alle) statt nach einzelnen Angeboten wie Facebook, Instagram, WhatsApp oder YouTube.

Ihre medianen Schätzungen für den Nutzungsverzicht sind deshalb deutlich höher (WTA, Angaben pro Jahr):

Internet-Suchmaschinen

17 530 US$

E-Mail

8414 US$

Digitale Kartendienste

3648 US$

Video-Dienste

1173 US$

E-Commerce

842 US$

Soziale Medien

322 US$

 

Unternehmen können so Einblicke in den Wert einer bestimmten Dienstleistung oder Dienstleistungskategorie über einen bestimmten Zeitraum gewinnen.

Die Autoren schlagen vor, dass andere Effekte berücksichtigt werden könnten, wie es bei klassischen Erhebungsmethoden der Fall ist:

  • Einfluss der gleichzeitigen Nutzung von komplementären oder konkurrierenden Dienstleistungen (Multi-Homing)
  • Haushaltseinkommen
  • Auswirkungen von Zeiträumen für den Verzicht*

*Der Medianwert für den Verzicht auf Facebook-Dienste für zwei Wochen beträgt das 2,7-fache des Medianwerts für eine Woche. Dies deutet auf einen nichtlinearen Zeiteffekt hin.  

Die vorliegende Studie zeigte bereits geografische Effekte, da die Bewertung von Diensten wie Facebook in Europa deutlich höher war als in den USA.

Was die Daten einzelner Nutzerinnen und Nutzer für die Unternehmen wert sind, die datenbasierte Dienste anbieten, ist nicht zugänglich. Doch diese Studie gibt einen quantitativen Hinweis darauf, wie hoch eine datengesteuerte Dienstleistung geschätzt wird. Damit ist sie eine wichtige Ergänzung zu den marktbasierten Methoden zur Bewertung von Daten.

 

“Using massive online choice experiments to measure changes in well-being”

Erik Brynjolfsson, Avinash Collis, and Felix Eggers

PNAS April 9, 2019 116 (15) 7250-7255; first published March 26, 2019

https://doi.org/10.1073/pnas.1815663116